Geschichte

Aus der Geschichte des Seminars für Slavistik & Lotman-Instituts

Die Anfänge

Die Geschichte des Seminars für Slavistik an der RUB reicht bis in die Gründungsphase der Ruhr-Universität zurück: Mit deren Eröffnung 1965 konnte auch das Slavische Seminar seine Lehrtätigkeit aufnehmen.

Das Fach Slavistik gliederte sich von Anfang an in die drei Teilbereiche Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft und praktische Sprachausbildung. Dem Seminar wurden seinerzeit drei Professuren (für Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft und Polonistik) zugesprochen, ergänzt durch Sprachlektorate für Russisch, Polnisch, Tschechisch, Serbokroatisch und Bulgarisch.

Erster Slavist an der RUB war Johannes Holthusen, der 1965 den literaturwissenschaftlichen Lehrstuhl besetzte. Mit ihm, einem Assistenten und einem Lektor für Russisch wurde der Lehrbetrieb am Seminar aufgenommen. Komplettiert wurde die Slavistik 1967, nachdem der sprachwissenschaftliche Lehrstuhl durch Christian Alphonsus van den Berk besetzt worden war. Einige Jahre später folgte dann auch die Besetzung der polonistischen Professur durch Janina Wójtowicz, die den besonderen Gegebenheiten des Ruhrgebietes als polnischem Einwanderungsgebiet Rechnung tragen sollte.

Die anfänglich verfolgten methodisch-theoretischen Ansätze und Forschungsziele des Seminars leiteten sich im Wesentlichen aus den traditionellen Grundgedanken der deutschen Slavistik her. Die slavischen Literaturen und Sprachen wurden also vornehmlich unter historischen und systematischen Gesichtspunkten betrachtet.

Aufbruch in der Methodologie

Mit den Folgebesetzungen der Professuren durch Renate Lachmann (1969) und Karl Eimermacher (1979) in der Literatur- und Helmut Jachnow (1976) in der Sprachwissenschaft sowie Christian Sappok (1978) in der Polonistik wurde die Tradition der philologisch-historischen Betrachtungsweise der Sprache jedoch aufgebrochen und durch moderne Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft abgelöst.

In der Sprachwissenschaft setzte sich ein neues Sprachverständnis durch, das von den funktional-strukturellen, sozialen, pragmatischen und kognitiven Eigenschaften der Sprache ausgeht. In der Literaturwissenschaft fanden die Beziehungen zwischen literarischen, geistes- und sozialgeschichtlichen, sowie kulturellen und politischen Strukturen und Bedingungen immer stärkere Beachtung.

Der methodologische Aufbruch zu einer interdisziplinären und die Vielfalt der medialen Formen von Kultur umschließenden Forschung fand seinen deutlichsten Ausdruck 1989 in der Gründung des Lotman-Instituts für russische und sowjetische Kultur, das zu den Vorreitern der russlandorientierten Kulturwissenschaft in Deutschland wurde. Das von Karl Eimermacher begründete und von ihm zusammen mit Klaus Waschik aufgebaute Institut fühlte sich avancierten theoretischen Positionen verpflichtet, dem verlieh auch die Benennung des Instituts nach dem russischen Kultursemiotiker Jurij M. Lotman Ausdruck. Zugleich betrieb es die Öffnung zu neuen Medien, aktuellen kultur- und gesellschaftspolitischen Fragestellungen sowie interdisziplinärer und internationaler Zusammenarbeit. Davon zeugt neben zahlreichen Forschungsprojekten (s. Archiv) der Aufbau unseres Partnerinstituts in Moskau (vshek.ru).

Bis zur Einführung der BA- und MA- Studiengänge konnte das Studium mit dem Magister (Ost-, West-, und Südslavistik) oder dem Staatsexamen "Russisch" abgeschlossen werden. Nach der Einführung der neuen Studiengänge wurde das Ausbildungsspektrum der Slavistik auf die Russistik und die Polonistik fokussiert. Es können am Seminar jedoch immer noch tschechische und serbokroatische, auch ukrainische Sprachkenntnisse erworben werden.

Das Seminar heute

Mit der Emeritierung von Karl Eimermacher begann ein Generationswechsel, in dessen Zuge Lotman-Institut und Slavistik wieder zu einer Einheit verschmolzen wurden. Doch blieb die doppelte Profilbildung erhalten, nicht nur im Namen (jetzt: Seminar für Slavistik & Lotman-Institut für russische Kulturstudien), sondern auch als zweifaches Angebot für die Studierenden mit den Studiengängen Slavische Philologie (B.A., M.A., M.Ed.) und Russische Kultur (B.A., M.A.).

2003 übernahm Ulrich Schmid den literaturwissenschaftlichen Lehrstuhl. Seit 2009 hat Mirja Lecke diesen Lehrstuhl inne. Helmut Jachnow wurde 2004 emeritiert. Aus finanziellen Gründen war eine Wiederbesetzung des sprachwissenschaftlichen Lehrstuhls jedoch erst 2007 möglich; berufen wurde Tanja Anstatt. Auf die Professur für Polonistik musste nach der Emeritierung von Christian Sappok 2006 verzichtet werden. Die kulturwissenschaftliche Professur, die Bernd Uhlenbruch bis 2012 innehatte, konnte dafür zunächst mit Riccardo Nicolosi und, nach dessen Fortberufung an die LMU München, ab dem SS 2016 mit Christoph Garstka neu besetzt werden.

Mit den Neuberufungen kam es zu neuen Schwerpunktsetzungen. Aktuelle Forschungsthemen sind etwa die russisch-deutsche und deutsch-polnische Mehrsprachigkeit und der bilinguale Spracherwerb bei Kindern (T. Anstatt), Multikulturalität in Russland und das Verhältnis von Staat, Nation, Imperium und Literatur in Osteuropa (M. Lecke), Intermedialität, Krieg und Gewalt in Osteuropa, Dostojewskij und die russische Kultur (C. Garstka). Eine Fülle weiterer Bereiche und Aspekte kommt hinzu, auch durch das Mitarbeiterteam. Die vielfältigen Interessen führten zu zahlreichen Forschungsvorhaben (s. Laufende Projekte) und – auch im Sinne einer Optimierung der Ausbildung – zu intensiven internationalen Kontakten.

Damit ist das Bochumer Seminar für Slavistik & Lotman-Institut trotz der in den letzten Jahren vorgegebenen Reduzierungen leistungsstark und innovativ geblieben. Mit über 500 Studierenden ist es zudem eines der größten Slavistik-Institute in Deutschland.